Verantwortung


Bisher hat meine Mutter auf das Kind aufgepasst.
Jetzt nehme ich es selbst. Ich halte es an der linken Brust und steige in den Lieferwagen.
Auf der Autobahn zieht sich die Wetterlage zu; es wird neblig, die Sicht immer schlechter. Ich fahre bereits sehr langsam: als aber vor mir im Gesichtsfeld ein Hindernis auftaucht, als ich die Bremse betätige, spüre ich sofort, dass ich nicht rechtzeitig zum Stillstand kommen werde. Ich schere aus, auf die Überholspur, das Herz klopft wild. Welche Behinderung: nichts sehen und die Arme nicht frei haben.
Ich halte das Kind an mich gepresst; jetzt erst, jetzt erst wird mir im ganzen Ausmaß klar, dass ich nun die alleinige Verantwortung für das Kind habe. Wie viel einfacher wäre es doch, das Kind bei meiner Mutter groß werden zu lassen das gibt es ja! aber dann wäre es auch, eigentlich, ihr Kind. Wir passieren die Unfallstelle: Blinklichter und schattenhaft im Nebel Menschen weiter kann ich nichts erkennen.

Als ich nachts erwache, zittert mein Mund.
Ich habe meinen Freund Alfred gesehen, ein Kind im Arm. Er hatte das Gesicht gepudert und befand sich in einem niedrigen Theaterfoyer.
Die anderen Menschen im Raum wollten ihm das Kind abjagen. Mit rudernden Bewegungen und Kopfsprüngen setzte er sich zur Wehr. Da plötzlich stand die Mutter des Kinds im Raum. „Wo ist das Kind!" sagte sie scharf, und da begriff Alfred und ich mit ihm dass, was er im Arm hielt, nur eine leere goldene Schachtel war: die hatte ihm seine Mutter statt des Kindes untergeschoben. Was für eine Freude wird sie darüber empfunden haben.
„Das ist egal", sagte die Frau, der er einmal so nah gewesen war. „Das nützt dir nämlich gar nichts." Und hinter ihr stand das Kind, schon ein großer Junge von zehn Jahren, und es sagte zu ihm: „Mit einem homosexuellen Vater will ich nichts zu tun haben." Da bin ich erwacht. Das Kind liegt neben mir, fast noch ein Säugling atmet ruhig. Ich starre die Decke des Hotelzimmers an und denke an die vielen Jahre, die vor uns liegen.

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